Tabula rasa
Es ist nie zu spät für einen gründlichen Frühjahrsputz, Großreinemachen im Ausklang des stürmischen Sommers. Alles überflüssige verräumt und die letzte Kiste gepackt, der Kurier wartet schon an der Tür. Tabula rasa und weißes Blatt Papier, auch wenn nach dem Abschaben der alten Glitzerlackschichten einige Kratzer bleiben. Nennen wir sie Lebenslinien. Umso bewusster setzt du deinen Stift an, zeichnest neue Konturen über die Aufs und Abs des Papiers hinweg. Manche Striche führen in entgegengesetzte Richtungen und nicht jede Linie findet Anschluss. Nach und nach ergeben sich daraus Formen und Bilder, jeder Tag malt einen Tupfer dazu, neue Begegnungen schenken auch neue Farben.
Jede neue Lebenslinie ein Wagnis und ein Schritt ins Ungewisse. Kein Malen nach Zahlen, kein immer wieder, keine ewige Wiederkehr. Die Zeit wäscht die Luft rein und schafft Platz für das was ist, Raum und Zeit für das Hier und Jetzt, die Gegenwart ist sich selbst genug. Der Raum wird weit und du möchtest die Welt in vollen Zügen umarmen. Neue Bilder malen, neue Blätter weiß lassen. Und doch noch immer du, mehr denn je, immer noch der alte und doch irgendwie anders. Nein, aus seiner Haut kann man nicht. Aber man kann sie waschen und pudern, sie hegen und pflegen und sich wohl fühlen darin.